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Azubimesse: Viel Input für die Kids
Studium nicht immer erste Wahl – Messe bietet zum dritten Mal neue Perspektiven
von Alexander van de Loo Es ist Mittwoch, 28. Mai, 8 Uhr in der Früh. Draußen regnet es in Strömen. Drinnen sollen rund 160 Schüler und Schülerinnen ihre beruflichen Perspektiven ins Trockene bringen. Sie sitzen mit neugierigen Gesichtern in der Aula der Krifteler Weingartenschule. Die Jugendlichen sind gespannt. Kein Wunder, geht es doch um ihre Zukunft, um Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt nach der Schule. Daher der Appell der Schulleitung: Seid nicht schüchtern, fragt und macht was aus eurem Leben!
Was die jungen Leute in ihre Aula treibt, ist die Aussicht auf einen Ausbildungsplatz bei einem attraktiven Unternehmen in der Umgebung. Die Initiative WGStart25 steht an, die mittlerweile dritte Ausbildungsmesse der Weingartenschule. Der Andrang ist groß, das Angebot nicht minder: Startete das Projekt vor zwei Jahren noch mit acht Unternehmen, so sind heute 20 in der Schule vertreten. Sie stellen sich vor und geben über die verschiedenen Berufsbilder und Ausbildungen Auskunft.

Die Ausbildung zum Koch oder zur Köchin dagegen wollen nur wenige machen. Dabei gibt es in diesem Berufsfeld gute Aufstiegschancen. Alle Fotos: vdLoo
Vertreten sind: Infraserv Wiesbaden, Varisano Pflege, der WGS Kooperationspartner Deutsche Bahn DB Logistik, Hessen Mobil, Spie Elektro/Metall, die Commerzbank Frankfurt, der Volunta Freiwilligendienst, das Finanzamt Hofheim, Provadis, die Nassauische Sparkasse, das Karrierecenter Bundeswehr, HP Velotechnik, die Glückskinder Kindertagesstätte, die Wesco Rhein-Main KG Immobilienwirtschaft, Aldi Süd, die Gate Gourmet Gastronomie, Rothenberger Kelkheim, die Brühlwiesenschule als Schule mit beruflichen Schwerpunkt sowie die Caritas Taunus Pflege und die Agentur für Arbeit.
Sie alle haben mehrere Tickets in einen Beruf zu vergeben. Wie breit das Angebotsspektrum mittlerweile ist, sieht man beispielsweise an der Teilnahme des Handelsgiganten Aldi Süd. Dass zum ersten Mal auch die Bundeswehr teilnimmt, spiegelt die Zeitenwende auch in dem Mikrokosmos Schule wider. In einem sind sich alle einig: Hier und heute sollen sich Unternehmen und Jugendliche aus den 9. und 10. Klassen kennenlernen.
Hemmschwellen abbauen
Initiiert hat diesen Tag Basel Mirza, Studienrat und Berufsorientierungskoordinator an der WGS. „Als früherer Berufsschullehrer weiß ich genau, welche Anforderungen gestellt werden, um eine erfolgreiche Ausbildung zu absolvieren“, führt der Pädagoge aus. Die Erfahrungen und Erkenntnisse der beiden letzten Azubimessen habe er genutzt, um die diesjährige noch zielgerichteter zu konzipieren. „Und auch etwas lockerer“, erklärt der Pädagoge. So sei ein Raum mit Tischkickern ausgestattet, an dem sich Schülerinnen und Schüler mit den Ausbilderteams messen können. „Damit sinkt die Hemmschwelle, man kommt zwangsloser ins Gespräch“.
Das zielgenaue Treffen von Wunsch und Wirklichkeit ist in diesem Jahr besonders wichtig, weiß Schulleiter Dr. Christoph Richter: „Eine fundierte Ausbildung ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen beruflichen Laufbahn. Wir wollen unseren Jugendlichen die bestmöglichen Startbedingungen bieten und ihnen unterschiedliche Berufsbilder näherbringen. Ich begrüße die Initiative WGStart 25 als hervorragende Möglichkeit, in diesen Dialog zu kommen.“ Denn die Ausbildungssituation hat sich verändert. Mussten sich in den letzten Jahren die Unternehmen eher bei den jungen Leuten bewerben, so gäbe es heute – der wirtschaftlichen Situation geschuldet – weniger Ausbildungsstellen bei mehr Bewerbern. Das schaffe eine neue Ausgangslage, betont Dr. Richter.
Erste Zahlen zum hessischen Ausbildungsmarkt bestätigen das. Insgesamt meldeten von Oktober 2024 bis Februar 2025 die Betriebe rund 26.400 Ausbildungsstellen. Das waren gut 1.200 weniger als vor einem Jahr.
Vielseitige Bundeswehr
Im Forum stehen Jannes und Caius aus der G9b. In Hemd und Anzug gekleidet erfüllen sie vorbildlich den vorgegebenen Dresscode an diesem Tag: „Keine Hoodies und kurze Hosen!“ Das trifft genau den Nerv von Yvonne Feuerstein vom Magistrat in Hofheim. Gutes Auftreten und Benehmen finden immer Anklang bei den Ausbildern, betont sie. Sie achte besonders auf die Note im Sozialverhalten. Alte Tugenden wie Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Fleiß würden wieder neu entdeckt.
Jannes und Caius (15 Jahre) fanden den Einblick in viele verschiedene Firmen sehr aufschlussreich. Jannes interessiert sich für die Bundeswehr, Bankwesen und Wirtschaft, Caius für Varisano und Wirtschaft. Von dem Angebot der Bundeswehr waren beide überrascht. „Die Vielseitigkeit der Berufsbilder dort habt uns gefallen“, lautet ihr Resümee. Auf Nachfrage erklärt Hauptmann Thomalla: „Es gibt über 50 verschiedene Ausbildungen und Studiengänge – nicht nur militärische, sondern auch zivile Berufswege.“
Auch Mädchen interessieren sich für diesen Weg, wie Schülerin Lotte. Sie findet die IT-Ausbildung dort spannend. Sonst sind die Mädchen eher bei den Pflegeberufen anzutreffen. So wie Schülerin Misarela aus Albanien beim Blutdruckmessen bei der Caritas. Sie besucht die Intensiv-Klasse, ist erst ein gutes Jahr in Deutschland und möchte Ärztin werden. Auch beim Klinikverband Varisano sind viele Mädchen unterwegs. Sie verteilen unter Anleitung Tabletten in kleine Döschen für imaginäre Patienten. Ausbilderin Jacqueline Leskow erklärt Medikamente und Wirkungen. Miray Hank aus der R9b möchte im Beruf später gerne „etwas bewirken und anderen helfen“.

Mädchen sind oft bei den Pflegeberufen anzutreffen. Auch beim Klinikverband Varisano informieren sie sich.
Nicht immer Abitur
„Jeder soll nach seinen Fähigkeiten gehen“, betont Frank Sommerhoff, Leiter des Realschulzweiges. „Leider wollen die meisten Schüler nach dem Realschulabschluss auf weiterführende Schulen. Eine Berufsausbildung haben viele gar nicht auf dem Schirm. Dabei kann man ja danach das Fachabitur noch drauf packen.“ Wichtig sei es, dass die Schüler selbst aktiv werden. Das Schreiben von Bewerbungen und Vorstellungsgespräche werden in der Schule geübt.
Wieder sind diesmal auch die Gymnasiasten dabei. „Ein Studium ist nicht immer die bessere Alternative“, lautet die Meinung vieler der anwesenden Ausbildungsleiter. An diesem Tag soll Interesse an praxisorientierter Ausbildung geweckt werden. Das findet ein Echo in der Schülerschaft. Schüler Jan aus der G9b mag Chemie, findet Provadis interessant und könnte sich dort eine Ausbildung vorstellen.
Praktische Erfahrung zählt
Dazu braucht es Gespräche. Jeder Schüler hat eine Liste mit den Unternehmen bekommen. Jeder Besuch muss offiziell dokumentiert werden. „Zehn Betriebe sind Pflicht“, mahnt Studienrat Mirza. Aus den Kontakten sollen ja konkrete Angebote folgen. Zum Beispiel bei Provadis. Da kann man eine pharmakologische Ausbildung machen. Etwas selbst machen und sehen, was man geleistet hat, sei wichtig für die Jugendlichen, weiß auch Basel Mirza. Auch ein guter Verdienst sei Vielen wichtig.
Bei Hessen Mobil haben sich trotz des strömenden Regens eine Gruppe Jungs versammelt. Die großen Fahrzeuge und die technischen Geräte auf dem Schulhof üben eine hohe Anziehungskraft aus. Sebastian Birner, Leiter der Straßenmeisterei Hofheim, erklärt geduldig technische Funktionsweisen. Seine Empfehlung in die Runde: „Macht ein Praktikum, geht in die Ausbildung!“ Ein entscheidender Vorteil dieser Branche: Öffentlicher Dienst und die damit verbundene Sicherheit angesichts der unsicheren Wirtschaftslage.
Flexibilität ist angesagt
Bei Provadis, dem größten Ausbilder in Hessen, ist auch eine Menge los. 500 Azubis werden von diesem Unternehmen begleitet. Das Unternehmen übernimmt das Recruiting der Azubis in den Schulen und vermitteln sie an die passenden Unternehmen. Wie ist die Stimmungslage auf dem Markt? Einzelne Sparten wie Hotellerie, Gastronomie oder Handel kämpfen um geeignete Bewerberinnen und Bewerber, ist zu erfahren. Andere Ausbildungsgänge wie IT-Berufe oder Mediengestalter hingegen sind überlaufen.
Jule (R9a) und Leonie (R9a), beide 15 Jahre alt, interessieren sich für den Fachbereich Sozialassistenz, den die Brühlwiesenschule in Hofheim anbietet, um später vielleicht Erzieherin zu werden. Die Ausbildung zum Koch oder zur Köchin dagegen wollten nur wenige machen, konstatiert Simon Denne, Ausbildungsleiter der Gate Gourmet Gastronomie. Dabei gebe es in diesem Berufsfeld gute Aufstiegschancen. Der Rat an die Jugendlichen: flexibler in der Berufswahl zu sein. Lotte aus der G9b betont: „Mir hat der Tag geholfen, mich selbst ein wenig besser kennen zu lernen und mich für ganz neue Dinge zu interessieren.“
In der Abschlussbesprechung startet Dr. Richter eine Umfrage als Stimmungsbild. Das Resultat: Die große Mehrheit der Jugendlichen möchte mit der Schule weiter machen, ein Drittel will in die Ausbildung. Der aktuelle Ausbildungsreport 2024 des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Hessen-Thüringen zeigt, dass Ausbildungsmessen wie die WGStart25 einen guten Weg aufzeigen. Von den hessischen Azubis sind gut 70 Prozent mit ihrer Ausbildung "zufrieden" oder "sehr zufrieden". Alexander van de Loo