Zeitung auf Schreibtisch - Aktuelles

Immer informiert

DAS passiert in Kriftel

Abschied von der WGS

Lockdown-Jahrgang erhielt Abschlusszeugnisse

Rotweiße Absperrbänder flattern im Wind. Sie leiten die Besucher zum Eingang der Weingartenschule. Kontrolle ist nach wie vor Vorschrift. Mitglieder des Lehrerkollegiums inspizieren Anmeldebögen und schauen in die Smartphones der Besucher. Nur wer dort vollständige Impfnachweise, eine Corona-Genesung oder einen frischen PCR-Test vorzeigen kann, darf passieren.

In diesem Jahr der fallenden Inzidenzen dürfen die Schülerinnen und Schüler als Klassen zusammensitzen und zwei Begleitpersonen ins geräumige Forum der Weingartenschule mitbringen. Am Freitagnachmittag, den 9. Juli, werden 97 Haupt- und Realschülerinnen und Schüler feierlich entlassen, am darauffolgenden Donnerstag 63 Gymnasiasten.

Es ist voller als im vergangenen Jahr, allein der Geruch von Desinfektionsmittel in der Luft erinnert an die Pandemie. Alles andere als steril sind die Gesangseinlagen der Schulband, geleitet von Musiklehrerin Carolin Acker. „Verflixtes Corona“, ärgert sie sich, „so viele Talente und keine Bühne dafür.“ Heute präsentieren als kleine fast reine Mädchenband Michelle, Maleika und Lenia Songs von Lady Gaga und Rihanna begleitet von Amelie am Bass, dem einzigen Jungen Ole am Schlagzeug und Carolin Acker am Klavier. Endlich wieder singen! Alles kurz vorher mit dem Gesundheitsamt abgesprochen, Mindestabstand inklusive. So geht Feiern in Zeiten von COVID-19.

Ein neuer Kurs

Der Stimmung im Forum tut das keinen Abbruch. Blumen und Geschenke werden überreicht, so manches Tränchen wird vergossen. Es gibt schöne, weise und auch wehmütige Reden von Zweigleitern, Klassenlehrern, Klassensprechern und Jugendlichen, die sich einfach trauen, wie Oliwia aus der R10b. Auch Zakaria aus der G10a fasst sich ein Herz und führt in seiner bemerkenswerten Rede Steve Jobs und die geschenkte Zeit ins Feld („Jede Sekunde nutzen!“).

Und natürlich darf die Ansprache von Schulleiterin Elke Wetterau-Bein nicht fehlen. Sie lässt noch einmal die Vergangenheit im Lockdown Revue passieren („kein richtiges Schulleben, eher Chaostage“). Wortgewandt beschreibt sie die Schule als Schiff, die Lehrer als Crew und die Schüler als arbeitende Passagiere. „Ihr seid im Hafen gelandet, euer Seesack ist gepackt, jetzt schlagt ihr einen neuen Kurs in euerm Leben ein“, lautet Wetterau-Beins Bild dieses neuen Aufbruchs. Und so verbreitet sie im Saal den ihr eigenen Optimismus. Mit Hoffnung, Zuversicht und dem Glauben an sich selbst können Flauten und Stürme überwunden werden, lautet ihr Credo. Oder wie es Lehrerin Dr. Ohlinger auf den Punkt bringt: „Das Leben ist kein Spaziergang durch ein freies Feld.“ Den Erziehungsauftrag der Schule sieht sie darin, denkende und kritische Erwachsene zu formen. „Geht in die Welt, nehmt Anlauf und überwindet eure Hindernisse“, ruft sie ihrer H9a zu.

Feste Familienbande

„Ich werde die Lehrer vermissen, die Gespräche, es war wie eine Familie“, seufzt die 16jährige Jamie-Lee, Jahrgangsbeste zusammen mit Mohammed im Hauptschulzweig (Durchschnitt 1,7). Sie hat große Ambitionen und möchte zunächst den Realschulabschluss, dann eine Ausbildung als Rettungssanitäterin absolvieren. Medizin zu studieren, wäre ihr Traum. Sie hat, wie alle hier, endlich wieder mit ihren Mitschülern zusammengesessen und den aufmunternden Reden gelauscht. Dann wird auch sie aufgerufen, bekommt von ihrer Klassenlehrerin ihr Zeugnis und von der Direktorin eine Rose. Wenigstens nicht wie letztes Jahr mit Gummihandschuhen. Kleine Schritte in Richtung Normalität.

Es wurde viel vermisst im letzten und in diesem Schuljahr. Keine Weihnachtsfeier, keine Klassenfahrten, weder Gruppen-, noch Laborarbeiten, beklagt Biologielehrer Jens Frühbeis. Mangelnde Motivation traf auf fehlende Lehr- und Lehrmöglichkeiten. Dem Niveau der Abschlüsse merke man das allerdings nicht an, betont die Direktorin. Von 66 Realschülern haben 51 den mittleren Abschluss mit Eignung für die Fachoberschule erreicht und 36 die Eignung für die Gymnasiale Oberstufe.

Von 31 Hauptschülern schafften 22 den qualifizierenden Hauptschulabschluss, der dazu berechtigt, in die 10. Klasse vorzurücken und den Realschulabschluss zu machen. Die Klassen- und Jahrgangsbesten werden auch entsprechend gewürdigt: im Hauptschulzweig Mohammed Hendieh und Jamie-Lee Hurtado-Petrillo (beide 1,7). Im Realschulzweig Arwen Asch (1,4) und im Gymnasialzweig Lilli Einicke und Elena Pohl (beide 1,1). Und es habe keinen „Corona-Bonus“ gegeben.

Originelle Showeinlage

Als Gymnasialzweigleiterin Nicola van de Loo ihren Lateinern ein letztes Mal in gewohnter Manier einen lateinischen „Spruch des Tages“ mit auf den Weg geben will, weht ein großes Hallo durch die Halle. Aus dem Hintergrund kommt ein junger Mann im schwarzen Anzug und Zylinder auf einem blau blinkenden Hoverboard (eine Art elektrisch betriebenes Rollbrett) auf die Bühne gefahren. Max Müller, Abschlussschüler der G10b, hat soeben eine Wette gewonnen, er ruft ein fröhliches „Per aspera ad astra“ ins Mikrophon und appelliert in seinem Grußwort an das Auditorium, zu spenden. Nicht etwa an ihn - „das war ein kurzer Gedanke“, meint er augenzwinkernd - sondern an den Förderverein der WGS. Er platziert sich am Ausgang und hat am Ende 366,50 Euro im Zylinder. Eine originelle Idee mit einem sozialen Gedanken. Max geht erst einmal auf das Friedrich-Dessauer-Gymnasium in Höchst und hofft, dort auf eine ähnlich offene Atmosphäre zu treffen wie an der WGS.

Obwohl es auch dieses Jahr keinen großen Abschlussball gibt, sind die Gemüter der Anwesenden durchweg positiv gestimmt. Allen Reden ist etwas WGS-typisches gemein. Alle – ob Schüler oder Lehrer - betonen den Zusammenhalt, den Respekt und das Engagement für das Ganze. „Die WGS wird im Herzen bleiben“, fasst Schulsprecherin Malak El Boubkari dieses spezielle Gefühl zusammen.

Jetzt haben alle die Sommerferien dringend nötig. Die Pandemie hat viel Kraft gekostet, der Distanzunterricht Lücken aufgezeigt. Mit Fordern und Fördern der Jugendlichen wird es weitergehen. Elke Wetterau-Bein hofft, dass es in sechs Wochen möglichst normal losläuft. Zusammenhalt, Bildung und Motivation seien das Dreigestirn der Zukunft. Alexander van de Loo